Welterbetitel für Hellerau vorerst nicht erreichbar

DEU, Sachsen, Dresden, 06.06.2013, Gartenstadt Hellerau, Kleinhausviertel, Reihenhaeuser Am Gruenen Zipfel, Architekt: Richard Riemerschmid; Bewerbung Weltkulturerbe Bewerbung, WKEB, ohne Autos, Fotografie: Lothar Sprenger, Dresden; [Lothar Sprenger Diplomfotograf, D- 01187 Dresden, Bienertstrasse 33a, Telefon: 0049-(0)351-8048012, Fax: 0049-(0)351-8951256, Funk: 0170-5250109; Veroeffentlichung nur gegen Honorar und Belegexemplar! Konto: 0400192800 bei der Dresdener Bank Dresden, BLZ: 850 800 00]

Hellerau ist nicht nur eine romantische Gartenstadt, Heimat des Europäischen Zentrums der Künste und der Deutschen Werkstätten. Es ist auch ein herausragendes Zeugnis der Lebensreformbewegung um 1900. Seit 2011 bemüht sich ein Förderverein um den Weltkulturerbetitel für Hellerau. Im Dezember 2023 wurde die Bewerbung abgelehnt.

Seit 2011 erarbeitet der Förderverein Weltkulturerbe Hellerau e. V. die Grundlagen für eine Bewerbung um einen Platz auf der Tentativliste Weltkulturerbe des Bundes. Auf die Tentativliste werden in unregelmäßigen Abständen, zumeist um die zehn Jahre, Stätten in Deutschland gewählt, die damit deutsche Kandidaten für die Weltkultur- und Weltnaturerbeliste der UNESCO werden. Die Tentativliste ist somit der Zugang zum weiteren internationalen Bewerbungsverfahren für eine einzelne Stätte. Internationale Bewerbungen mit anderen Stätten zusammen können sich direkt an die UNESCO wenden und müssen nicht den Weg über nationale Auswahlverfahren nehmen.
Wir wurden in unserem Bemühen um den Welterbetitel an einigen Stellen durch die Kommune Dresden und den Freistaat Sachsen unterstützt. Hellerau war offizieller Kandidat des Freistaates Sachsen für die Tentativliste des Bundes. Der Dresdner Stadtrat bekannte sich mit einstimmigem Beschluss zu dem Vorhaben.
Als wir Ende letzten Jahres von der Ablehnung unserer Bewerbung erfuhren, war die Enttäuschung verständlicherweise groß. Umfangreiche private Gelder und persönliche Kräfte sind in das Vorhaben geflossen. Trotzdem wird unsere Wertschätzung des Ortes und dessen Geschichte nicht kleiner. Wir fanden uns zusammen, weil unser Vorhaben richtig und wichtig war – und es auch noch ist.
Im Förderverein kommen wichtige Bestandteile der Hellerauer Gemeinschaft zusammen: Bürger und Bürgerinnen und der Verein Bürgerschaft, Deutsche Werkstätten und das Europäische Zentrum der Künste (Festspielhaus). Die unter großem Einsatz gesammelten Spendengelder allein ermöglichten eine weitere Erforschung Helleraus, den wissenschaftlichen Austausch zum Thema und die Erarbeitung des Bewerbungsdokuments. Wir veranstalteten zwei größere Kolloquien, machten eine Ausstellung im Zentrum für Baukultur im Kulturpalast und brachten das erste umfangreichere Buch seit Jahren heraus, das bisher unbesprochene Hellerauer Themen beinhaltete. Es waren arbeitsreiche zwölf Jahre, in denen die Vereinsmitglieder aus Hellerau, Deutschland und der Welt trotz der langen Zeit dabeiblieben.
Diese zwölf Jahre waren von Höhen und Tiefen gezeichnet. Eine erste Bewerbung wurde durch die Kultusministerkonferenz des Bundes 2014 zurückgestellt. Das Gremium wünschte sich eine weitere Be- und Aufarbeitung der Weltkulturerbeinhalte. Das Potenzial Helleraus wurde jedoch anerkannt. In den Folgejahren widmeten wir uns der Anpassung des Bewerbungsdokuments an die Wünsche der Kultusministerkonferenz (KMK). Die Bewerbung blieb bei ihrem Inhalt, der Konzentration auf das Lebensreformprojekt Hellerau, mit stärkerer Gewichtung der Themen Festspielhaus und Gartenstadt. Den Wünschen der KMK entsprechend wurde soweit wie möglich fokussiert und konzentriert. Letztlich waren wir der KMK in Reduzierung und Begründung nicht radikal genug. Einiges ließ sich nicht vereinfachen, ohne das Kernthema der Bewerbung in Gefahr zu bringen, die Lebensreform.
Die Lebensreform um 1900 war eine umfassende Gesellschaftsutopie, die nur an sehr wenigen Stellen Realität wurde. Sie zielte auf eine Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse ab. Das Deutsche Kaiserreich hatte mit einer unreguliert auf Gewinn abzielenden Wirtschaft zu einer massenhaften Verelendung einiger Bevölkerungsgruppen geführt. Das nahmen auch ein paar Unternehmer wahr. Karl Schmidt, Gründer der Deutschen Werkstätten, gehörte dazu. Als er mit seiner Möbelfabrik geschäftlichen Erfolg hatte und ein eigenes Firmengebäude errichten wollte, bedachte er zum einen die Gartenstadt mit sowie zum anderen die Grundlagen einer sozialliberal geprägten Gemeinschaft mit genossenschaftlicher Bodenverwaltung, Reformpädagogik, Reformen des Zusammenlebens in neuer Architektur, Reform von Kunst und Kultur. Es gelang die Umsetzung eines visionären Vorhabens und das Ergebnis war Hellerau.
Hellerau ist heute das einzige weltweit noch in seinen materiellen Zeugnissen erhaltene Lebensreformprojekt und zudem die älteste vollständige Gartenstadt nach englischem Vorbild. Die Aktualität der Hellerauer Themen, wie gesellschaftliche Verantwortung, Achtung vor dem Individuum, Freiheit und Offenheit sind heute aktueller denn je. Diese Tatsachen bleiben auch nach der Ablehnung des Antrags durch die Kultusministerkonferenz bestehen und es ist zu hoffen, dass Hellerau an anderer Stelle die ihm gebührende Aufmerksamkeit erhält.
Vielleicht sogar durch einen Weltkulturerbetitel in ferner Zukunft.

Grüner Kasten:
„Laboratorium einer neuen Menschheit“
Paul Claudel, 1912

Gelber Kasten:
Kontakt:
Förderverein Weltkulturerbe Hellerau e. V.
über Dr. Anette Hellmuth
c/o Deutsche Werkstätten Hellerau
Moritzburger Weg 68
01109 Dresden
T 0351-21590-288
M a.hellmuth@dwh.de

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